Auf dem Weg zum klimaneutralen Musikbusiness

Anfangs 2020 habe ich mir vorgenommen, ab 2021 «klimaneutral» zu sein. Zumindest im Rahmen meiner selbständigen Tätigkeit als Musiker. Das ist einerseits total leicht zu bewerkstelligen. Andererseits gibt es in diesem Thema auch viel Widerspruch.

Denn CO2-Neutralität heisst: Was man an klimaschädigenden Faktoren nicht reduzieren kann, muss man kompensieren. Das tönt nicht nach einer Endlösung. Kurzfristig gibt es aber keine Alternative. Nur, das Kompensieren befreit einem nicht vom Tun. Und hierin liegt ganz viel Potential. Darauf komme ich später.

Der rein technische Aspekt ist easy. Ein bisschen Recherche im Netz, ein paar Zahlen zusammentragen, grosszügig aufrunden – und kompensieren. Schon ist man CO2-neutral. Doch wie gesagt, Neutralität ist trügerisch. Damit haben wir als Schweizer ja einschlägige Erfahrungen. Wenn wir also unsere CO2-Bilanz nicht nur neutralisieren, sondern verbessern wollen, müssen wir ins Handeln kommen.

Das tönt erstmal super. Handeln ist immer gut. Passiv rumstehen hingegen ist zwar fürs Klima super, aber fürs Gemüt gar nicht. Geschweige denn fürs Business. Gleichzeitig ist klar: So weitermachen wie bisher geht auch nicht. Handeln heisst also eigentlich: Verändern. Und da es hier um niemand anderen als um mich geht, heisst das fürs Erste ganz konkret: Mich verändern. Danach kommt dann auch noch das Umfeld dazu, welches verändert werden kann. Oder wo zumindest eine Entwicklung angestossen werden könnte.

Doch zuerst zu mir. Das grösste Veränderungspotential liegt dort, wo auch das meiste CO2 verursacht wird. Beim Ego! Das beginnt beim persönlichen Konsum, geht allerdings viel weiter. Denn als freischaffende Musiker*in ist man ständig der Ökonomie der Aufmerksamkeit unterworfen. In diesem Wettbewerb ist beispielsweise eine internationale Tätigkeit ein Qualitätsmerkmal. Wer Publikum auf der ganzen Welt beglückt, wird auch hierzulande von Veranstaltern und Förderstellen gerne gebucht und unterstützt. Doch auch sie folgen nur der Logik der Aufmerksamkeit. Denn letztlich ist es das Publikum, das sich von «Paris, New York, Tokio» eine Scheibe fürs eigene Ego abschneiden möchte. Zugegeben, es tönt viel besser als «Uzwil, Bremgarten, Schwamendingen».

Für mich persönlich habe ich allerdings schon vor Jahren den Entscheid gefällt, dass ich keine internationale Tätigkeit anstrebe. Die Fliegerei und gängigen Tourformate erscheinen mir nicht nachhaltig genug, da sie keinen wirklichen gesellschaftlichen Mehrwert mit nach Hause bringen. Anders sähe es aus, wenn man sich für längere Zeit auf einen Ort oder Kulturkreis einlässt und sich dabei auch eine persönliche Entwicklung passiert. Anders sähe es auch aus, wenn ich bei meiner Reisetätigkeit einen Mehrwert woanders hinbringen würde, der dort seine Wirkung entfaltet. Aber die Welt ruft nicht nach mir.

Hingegen bin ich der Quartierbeck meiner Region. Ich backe feine Musikbrötchen und entwickle immer wieder neue Rezepte. Die Leute kennen mich, kommen gerne in meine Bäckerei, wir tauschen uns aus – oft über Jahre hinweg. Dieser Austausch verändert mich, meine Brötchen und meine Kundschaft. Das ist die CO2-freundliche Antwort mit der ich mein Ego füttere. Mehr noch – meine Musikermobilität gestalte ich möglichst nachhaltig, nutze ÖV und Velo, konzipiere mein Equipment schon dementsprechend. Das alles ist Veränderung, nicht Verzicht. Und aus CO2-Perspektive ist es Reduktion. Sie findet im Kopf statt.

Der nächste CO2-Verbraucher ist die Heizung. Mein Atelier ist ein einem Altbau mit eher schlechter Isolation. Ich habe das Glück, dass das Gebäude am Fernwärmenetz angeschlossen ist. So muss ich weniger kompensieren als bei einer Ölheizung. Aber manchmal muss ich mit einem Elektroöfeli nachhelfen, damit eine angenehme Arbeitstemperatur erreicht wird. Auf die Schnelle kann ich den Raum nicht so einrichten, dass mein Schreibtisch nah bei der Heizung ist. Das wäre besser, da nicht immer der ganze Raum aufgeheizt werden müsste. Hier liegt noch Potential für mehr Reduktion: Isolation der Fenster verbessern, Raum anders einrichten…

Den Strom für den Elektroofen und für meine elektronischen Geräte muss ich nicht kompensieren. Den habe ich neutralisiert. Und darauf bin ich ziemlich stolz. Es gibt mittlerweile verschiedene Solar-Genossenschaften oder Elektrizitätswerke, die Solarstrom oder grad Solarpanels anbieten. Das kostet zwar, aber neutralisiert den Verbrauch komplett. In meinem Fall habe ich vier Panels gekauft, die pro Jahr gut 400 kWh Strom produzieren. Das reicht für den Ofen und alle Gerätschaften.

Dann gibt es noch die graue Energie, welche in Geräten wie Laptops, Drucker, Smartphones etc. steckt. Auch die Internetnutzung mit all den Datennetzwerken verursacht einiges an CO2. Allerdings viel weniger als Heizung und Mobilität. Dennoch lohnt es sich, hier ins Handeln zu kommen, denn die Produktion ist sehr umweltbelastend. Handeln heisst hier vor allem: langlebige Produkte von guter Qualität kaufen, diese regelmässig pflegen und gegebenenfalls reparieren. Das gilt auch für Equipment wie Kabel, Mikrophone, Verstärker etc.

Für meine CO2-Neutralität habe ich meinen CO2-Verbrauch folgender Punkte eruiert: Mobilität, Heizung, Strombedarf, Geräteanschaffung und -Nutzung. Einerseits musste ich dazu Schätzungen machen, wie zum Beispiel bei der Heizung: So viele Tage werde ich etwa im Atelier sein, in diesen Monaten ist es kalt, so viele Stunden wird die Elektroheizung laufen. Auch die Mobilität lässt sich nur ungefähr eruieren. Will man auf der sicheren Seite sein, nimmt man sich mehr Zeit – und rundet am Schluss grosszügig auf. Beim Zahlensammeln helfen Netzrecherchen und die verschiedenen Tools der Stiftung myclimat.org.

Es geht jedoch nicht primär um die richtigen Verbrauchszahlen. An erster Stelle steht immer die Reduktion. Ich habe mir dazu ein paar Gedanken gemacht, welche ich hier nochmals zusammenfassen kann:

  • Mobilität nachhaltig gestalten
  • CO2-sparsameres Verkehrsmittel wählen
  • Equipment gemeinsam nutzen und teilen
  • Gute langlebige Qualität anschaffen, unterhalten, pflegen
  • Raum besser isolieren
  • Solarpanels kaufen und Strom neutralisieren

In diesem ganzen Prozess wird das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Dabei geht es nicht nur um das Klima. Es geht auch darum, regionale Strukturen zu erhalten oder weiter zu entwickeln. Das können wir aktiv mit unserem Einkaufsverhalten steuern. Nicht immer ist der billigste Versandhändler auch die beste Wahl. Der lokale Musikladen kann nur überleben, wenn man auch dort einkauft. Und noch interessanter wird es, wenn man sich mit dem Sharing-Gedanken auseinandersetzt. Verstärker, Schlagzeug, Licht- und PA-Anlage – wer gemeinsam nutzt, muss weniger anschaffen. Wer teilt, muss das Equipment nicht ständig quer durch die Lande transportieren – und kann seine Mobilität umweltfreundlicher gestalten. Grundlage dafür ist eine entsprechend offene Haltung und dass man darüber redet.

Bevor ich meine Abschlussrechnung präsentiere, möchte ich noch auf das Umfeld eingehen. Denn unser Handlungsspielraum ist beschränkt. Natürlich nutzen wir diesen voll aus. Doch darüber hinaus gibt es noch viel Potential. Hier ein paar Beispiele: Wir können unser Geld bei einer klimafreundlichen Bank unterbringen. Hier geht es um die Dekarbonisierung der Finanzen. Doch wir sind erst der Anfang. Auch Arbeitgeber, wie zum Beispiel Musikschulen können ebenfalls dazu aufgefordert werden. Sowohl ein Wechsel der Bank als vor allem auch ein Wechsel der Pensionskassen können grosse Geldsummen in klimafreundlichere Wirtschaftszweige umleiten. Das ist sehr effektiv und nachhaltig. Darüber hinaus kann das Umfeld auch motiviert werden, selbst klimaneutral zu werden. Konzertveranstalter, Clubs, ganze Kulturinstitutionen – das Thema ist präsent, es braucht nur Menschen, die den Prozess in Gang setzen. Gerade in der Kulturbranche ist man sensibilisiert. Und es hat viel Potential: Solarstrom einkaufen, ein anderes Heizsystem installieren, Isolation der Unterrichtszimmer, vorhandenes Equipment teilen, Förderung von ÖV-Anreise, bessere Koordination unter den Clubs und damit Reduktion von Flugacts und so weiter. Oder grad vermehrt lokale Musikschaffende welche das lokale Publikum beglücken. So könnte auch dem schadhaften Höher-Schneller-Weiter-Fetisch der Gesellschaft etwas entgegengesetzt werden.

Mich persönlich beglückt es zu wissen, dass ich aktiv zur Verbesserung beitragen kann. Wie in diesem Text deutlich wird – die Verbesserung beginnt im Kopf. Und sie ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist. Wir erschliessen uns ständig neue Handlungsfelder um unserem Ziel näherzukommen. Für Musiker*innen ist das ja ein wohlvertrauter Zustand. Erfreulich ist auch, dass der Weg zum CO2-neutralen Musikbusiness wirklich einfach zu erreichen ist. Deshalb hier meine Schlussrechnung:

Die Heizung meines Ateliers, meine Mobilität und die Anschaffung der Gerätschaften verursachen etwa 4.5t CO2. Dazu kommen der Stromverbrauch und die Elektroheizung, was etwa 360 kWh ausmacht. Diese Zahlen habe ich aufgerundet. Bei der Stiftung myclimate.org konnte ich 5t CO2 mit klimafreundlichen Projekten kompensieren. Das kostet mich 150 CHF. Bei der Stadt St. Gallen kaufte ich vier Solarpanels und produziere damit jährlich für die nächsten 20 Jahren 400 kWh sauberen Strom. Das kostet mich 60 CHF. Total ist mein Musikbusiness für 210 CHF pro Jahr CO2-neutral. Und es wird noch günstiger, weil da besteht noch einiges an Potential für weitere Verbesserungen in den kommenden Jahren.

Marc Jenny, Januar 2021

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